Waiting Plots: Über das Warten

Transiträume in Literatur, Fotografie und Architektur

“Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bricht in der europäischen Literatur eine Wartezeit an, die quer steht zum Paradigma von Fortschritt, Beschleunigung und Produktivität. An die Stelle zielgerichteter Erwartungen tritt ein Verharren im Übergang, das neue dramatische und erzählerische Formen begründet. Andrea Erwig geht den Darstellungsformen, Eigenzeiten und Phantasmen des Wartens u. a. bei Maeterlinck, Rilke, Musil und Freud nach und widmet sich dabei auch Warteräumen und institutionellen Machttechniken. Das literarische Warten zeigt sich in ihrer Studie von einer subversiven Seite: Die ›Waiting Plots‹ der frühen Moderne stemmen sich gegen die Bestimmtheit von Erwartungen und unterbrechen das lineare Fortschreiten von Geschichte, um sich dem Unbestimmten und Singulären der Wirklichkeit zu verschreiben. Das Fin de siècle erscheint aus dieser Perspektive als Übergangszeit, die Endgültigkeiten nicht nur beschwört, sondern sich diesen zugleich widersetzt. ” (Andrea Erwig – Waiting Plots, 2018)

„Das Foyer ist der beste Ort in jedem Hotel: Es gibt dort dieses Spannungsverhältnis zwischen Stadtraum und Innenraum. Es ist die Schnittstelle von Ankommen und Wegfahren. Das Hotelfoyer ist nicht wohnlich, es ist ein Schauraum und ein Bühnenraum. Oft führen Türen und Gänge nach hinten, dazu die inszenierten Stiegenaufgänge. Man erwartet immer, dass gleich jemand auftritt. Die Lobby hat eine Funktion für das Hotel, ein- und auszuchecken. Für mich als Fotograf hat sie eine andere. Ich benutze sie wie ein Regisseur, ich hole mir einzelne Elemente aus dem Raum ins Bild, man kann sagen: Ich zerlege die Räume und baue sie wieder zusammen.“ (Wolfgang Thaler, Fotograf)

"Wir haben den Bahnhof entdeckt als einen Ort, der abgeschnitten von seiner früheren Lebendigkeit ist, aber noch viele Spuren davon enthält. Wir haben uns gefragt, wie ein so verschlossenes Gebäude wieder ein öffentlicher Raum werden kann. Wie kann der Bahnhof ohne Züge wieder zu einem Ort des Austauschs und der Begegnung werden? Ein öffentlicher Raum mit neuen Bewegungen anstelle derjenigen des früheren Zugverkehrs." (Neuberg College – Verein für Übersetzung der Gesellschaft)

Die Lobby im Hotel, der Wartesaal im Bahnhof, die Departure Lounge im Flughafen. Orte des Transits zwischen momentaner Behaustheit und programmatischer Anonymität. Wie sind sie eingerichtet, wie vermischen sich lokale Referenzen und internationale Standards? Der Fotograf Wolfgang Thaler hat 200 Wiener Hotelfoyers dokumentiert, auf der Suche nach „Wien“-Versatzstücken zwischen Klischee und Verfremdung. Fast zeitgleich mit dem Aufkommen der Typologie der Hotellobby um 1900 wurden Warteräume auch zum Topos in der Literatur, mal als ruhende Zentrum im Sturm der industrialisierten Moderne, mal als Symbol von Heimatlosigkeit und Entfremdung. Was machen diese Räume mit uns und wir mit ihnen? Sind wir alle temporäre displaced persons, sobald wir uns in ihnen aufhalten? Über welche Scharniere sind diese Räume mit der Stadt verbunden? Und welche Potenziale wohnen in ihnen, wenn man – wie Studio Magic und das Neuberg College es mit dem verlassenen Bahnhof Neuberg tun – obsolete Transiträume an ihrem Ort verwurzelt und mit neuen Nutzungen belebt?

Gäste:
Dr. Andrea Erwig
Literaturwissenschaftlerin, Universität Greifswald (D)
„Waiting Plots: Zur Poetik des Wartens um 1900“

Wolfgang Thaler
Fotograf, Wien
„Wien Hotel: Hotellobbys als Bühnenbilder der Stadt“

Kollektiv Studio Magic
Architekten, Graz
„Neuberg College: Der Wartesaal im Bahnhof Neuberg an der Mürz. Vom Transitraum zum Ort“

Moderation: Maik Novotny

© ÖGFA
Quand
16 April 2021, 19:00 to 21:00
Online Event
Organisateur
ÖGFA-Österreichische Gesellschaft für Architektur
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